Samstag, 31. August 2013

Rezension: Die Frau am Fenster von Elk von Lyck




 
Die Frau am Fenster - ein Roman, der mich sehr beeindruckt hat. Normalerweise bin ich kein Fan von „ruhigen“ Romanen - ich brauche immer ein bisschen Spannung oder Witz. Doch bereits nach den ersten Seiten war mir klar, dass mir dieser Roman doch gefallen wird. Der Autor Elk von Lyck hat einen wortreichen, bildlichen, intelligenten und sehr angenehmen Schreibstil, der sich flüssig lesen lässt.
  
Zu Beginn des Buches lernen wir Achim kennen, einen erfolgreichen Rechtsanwalt, der von Schlafproblemen geplagt wird. Seine Lebensgefährtin rät ihm, einen Psychologen aufzusuchen. Obwohl Achim ziemlich skeptisch ist, vereinbart er einen Termin und findet sich wenig später in einer Hypnose wieder. Er reist in seine Kindheit, um auf Ursachensuche zu gehen. Der Psychologe ist sich sicher, dass ein traumatisches Erlebnis zu Achims Schlafstörungen geführt hat. Bald ist ein Auslöser gefunden, der Achim aber noch weiter zurück führt - in sein früheres Leben als Max Lehnfeldt. Achim ist Feuer und Flamme und will mehr über Max und sein früheres Ich erfahren. So begibt er sich immer und immer wieder zurück in die 20er/30er Jahre.

 Elk von Lyck nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise durch die Zeit. Nachdem wir auf einem Spaziergang mit Achim seine Stadt Berlin kennengelernt haben, begegnen wir Max in Paris. Max ist ein junger Künstler, der den Durchbruch jedoch noch nicht geschafft hat. Zusammen mit seinen Künstlerfreunden lässt er sich von der Stadt der Liebe inspirieren. Er lernt Fiona kennen, eine junge Engländerin, die ihn und Achim nicht mehr loslässt. Denn auch Achim ist dieser Frau bereits begegnet - auf einem alten Foto, das er auf einem Trödelmarkt erstanden hat.

 Für diesen Roman war wohl eine umfangreiche Recherche und ein großes Wissen nötig. Auf einer Sightseeing Tour von Max und Fiona durch Paris lernt auch der Leser das alte Paris detailgetreu kennen. Obwohl man teilweise das Gefühl hat, dass sich der Autor in zu detaillierten Beschreibungen verliert, haben sie dem Lesefluss keinen Abbruch getan, ganz im Gegenteil, mich haben sie sogar gefesselt und noch tiefer in den Roman eintauchen lassen. Ich konnte Paris förmlich riechen, die Geräusche hören und die beschriebenen Speisen schmecken.

 Auch die nächste Station, Max` Heimat Ostpreußen, wird wunderbar beschrieben und man merkt, dass der Autor sicherlich selbst vor Ort war und sich die Schauplätze für seinen Roman gut eingeprägt hat.

 Ich könnte noch viel mehr von diesem gelungenen Debüt schwärmen. Immer wieder musste ich eine Lesepause einlegen, um mir geistreiche, interessante und schöne Zitate zu notieren. Nie hätte ich gedacht, dass ich mal so begeistert von einem Roman dieser Art sein werde. Im Gedächtnis geblieben ist mir vor allem die Sightseeing Tour durch Paris, insbesondere der Besuch in einer Boutique. Eine Gänsehaut bekam ich, als sich Achim im Heute auf die Suche nach einer Verbindung zu seiner Vergangenheit macht, als er die Wohnung von Agnes, Max` jüngerer Schwester findet oder ein altes Gemälde von Max.

 Die Liebesgeschichte von Max und Fiona wird nicht intensiviert, sondern bleibt einfach etwas Besonderes, Unnahbares und Unantastbares, was mir sehr gut gefallen hat.

 Alles in allem ein wundervoller Roman, für den man sich Zeit nehmen sollte, der sich nicht mal eben so nebenbei lesen lässt und der einen belohnt, indem er seinen Leser auf eine wunderbare Reise durch die Zeit entführt.



Montag, 26. August 2013

Rezension: Das Ereignis von Jancu Sinca


Inhalt:
Ein Mann sitzt an seinem Schreibtisch, er will etwas aufschreiben. Ein Ereignis beschäftigt ihn. Er versucht es einzukreisen, bekommt es aber nicht zu fassen. Seine Gedanken schweifen ab, er träumt von einem Zug, der ihn fortbringen könnte, fort von seinem belanglosen Leben, seinem Beruf als Bibliothekar, dem nicht gelebten Traum Schauspieler zu werden und der unerfüllten Liebe zu einer jungen Frau.
Diese Frau, eine Arbeitskollegin von ihm, hat sie etwas mit dem Ereignis zu tun? Alles begann mit einem Schrei. Der Bibliothekar hörte ihn bei einem Spaziergang am Neckar. Er sah aufs Wasser hinaus, konnte jedoch niemanden entdecken. Vielleicht kam der Schrei auch aus dem Wald. Er rang mit sich selbst, sollte er der Sache nachgehen, Hilfe leisten, oder war es vielleicht nur ein Freudenschrei, ausgestoßen bei einem Spiel unter Freunden? Letztlich tat er nichts, kehrte nach Hause zurück.
Dieses Ereignis geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Hat er sich schuldig gemacht, schuldig der unterlassenen Hilfeleistung, oder ist er noch viel tiefer darin verstrickt, als er gegenüber sich selbst zugeben möchte? Zwanghaft zieht es ihn zurück an den Tatort und zurück an den Schreibtisch, er muss das Ereignis aufarbeiten...   
  
Bewertung:
Auf den ersten Blick scheint hier einer jener Regionalkrimis vorzuliegen, die seit Jahren unseren Buchmarkt überschwemmen. „Das Ereignis“ ist jedoch mehr als das, es ist ein Spiel mit der Wirklichkeit. Die grundlegende Frage lautet: Was ist wirklich geschehen? Hat das Ereignis tatsächlich stattgefunden, oder wird es nur in gedanklicher Form im Kopf des Protagonisten durchgespielt? Ist der Mann ein Künstler oder ein Verbrecher, ist er geistig gesund oder krank? Auffällig ist, dass er von sich selbst in der Du-Form spricht, was auf eine Persönlichkeitsspaltung hindeutet. Ist sie durch das Ereignis ausgelöst worden, oder hat sie bereits vorher bestanden?
Aus der einen Frage ergeben sich viele weitere Fragen, aber nicht alle finden eine klare Antwort. Vieles bleibt der Fantasie des Lesers überlassen, der dadurch angeregt wird, seine eigenen Gedanken zu entwickeln über das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen.
Die Sprache entfaltet dabei eine hypnotische Wirkung, sie ist fein austariert und äußerst mitteilsam. Dadurch funktioniert der Text letztlich doch als Regionalkrimi, denn die Wege, die der Protagonist beschreitet, können vom Leser nachvollzogen werden, in Neckarsteinach am Neckar.
Insgesamt erinnert die Form des Textes ein wenig an Zoran Drvenkars Du, in dem der Autor seine Figuren ebenfalls sehr direkt und mit eben jenem „Du“ anredet. Wer hier an ein Plagiat denkt, liegt jedoch falsch: Sinca veröffentlichte seine Novelle fünf Jahre zuvor.        

"Das Ereignis" ist im Seidler Verlag erschienen und kostet 10,80 Euro.
Text: Elk von Lyck
Mehr über den Kritiker: Elk von Lyck.blogspot