Mittwoch, 28. September 2011

Vorschau : Lesung von Claudia Schmid und Anette Butzmann


Feinsinnig ausgetüftelte Morde und raffinierte Rezepte gehören zusammen wie Hühnerbrust und Gänsehaut - und im lieblichen Nordbaden ist längst nicht alles so idyllisch wie es scheint. Hier wird geliebt, gehasst, gesotten und gemordet, und so manch einer wird die Nachspeise nicht erleben. Tödliche Häppchen heißt die druckfrische Anthologie der Mörderischen Schwestern. Die Krimiautorinnen Claudia Schmid und Anette Butzmann präsentieren den Rheinterrassen-Krimi, spannende Mordsgeschichten und ein Hörspiel.

Zeit: Donnerstag 6. Oktober 2011 um 19:30 Uhr
Ort: Mannheim, Gaststätte "Rheinterrassen" (Rheinpromenade 15)

Mittwoch, 14. September 2011

Kurzgeschichte des Monats

Die Kurzgeschichte des Monats September stammt von Nils Ehlert:


Autodafé

"Sie haben - was?", fragte Egbert. Er war sich unsicher, ob er richtig gehört hatte.

"Ein Autodafé." Der Antiquitätenhändler schenkte ihm ein Verkäuferlächeln. "Möchten Sie es sehen?"

"Gern. Sehr gern sogar, wenn Sie es mir zeigen wollen." Egbert spürte eine wohlige Nervosität und nestelte an seiner Brille mit den dicken Gläsern.

"Kommen Sie", sagte der Antiquitätenhändler.

Er strebte quer durch seinen Laden, und Egbert folgte ihm. Das Geschäft war so vollgestellt, dass ihm die Ausmaße erst jetzt auffielen, als er durch die vielen Möbel, Skulpturen und Bilder hindurchging. Er hätte sich gern genauer umgesehen, doch der Antiquitätenhändler huschte so flink voraus, dass Egbert Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Je tiefer sie in den Laden vordrangen, desto spärlicher wurde das Tageslicht von den Schaufenstern. Egbert kniff die Augen zusammen, um den Antiquitätenhändler nicht zu verlieren, und stieß sich dabei einige Male an hervorstehenden Gegenständen. Einmal verlor er beim Stolpern fast seine Brille und fluchte leise.

Eigentlich hatte er nur ein wenig stöbern wollen. Die besten Funde hatte er stets in Läden wie diesem gemacht. In den Geschäften, in denen makellos herausgeputzte Stücke vereinzelt unter goldgelbem Lampenlicht standen und mit Echtheitszertifikat auf Büttenpapier versehen waren, gab es keine Überraschungen, und alles war viel zu teuer. Wie anders waren die Geschäfte, die eher einer Rumpelkammer glichen, sie enthielten neben viel Plunder oft auch versteckte Schätze. Der Antiquitätenhändler hatte Egbert zuerst mit ein paar langweiligen Konkubinenstichen des 17. und 18. Jahrhunderts abspeisen wollen, doch Egbert hatte gespürt, dass in diesem Laden etwas Großes und Einmaliges auf ihn wartete. Er hatte dem Antiquitätenhändler mit erhobenen Augenbrauen klar gemacht, dass er zwar Laie und privater Sammler war, aber kein Anfänger und auf der Suche nach dem Besonderen. Das hatte gewirkt, und jetzt würde er gleich vor seinem ersten Autodafé stehen. Er hatte über Autodafés schon einiges in der Fachliteratur gelesen, aber noch nie eines wirklich gesehen. Er wusste nur vom Hörensagen, dass sie überhaupt gehandelt wurden, so selten und kostbar waren sie.

Er hatte den Antiquitätenhändler eingeholt, der an einer niedrigen Holztür auf ihn wartete.

"Ist es denn in gutem Zustand?", fragte Egbert etwas außer Atem.

"Im besten", sagte der Antiquitätenhändler, "es wurde kürzlich erst restauriert."

"Und von welchem Künstler stammt es?", bemühte Egbert sich, Kennerschaft vorzutäuschen.

"Von Jacques Naber, dem belgischen Meister. Der ist Ihnen sicher ein Begriff."

Egbert nickte verständig. Er hatte nie von ihm gehört, doch das brauchte der Händler nicht zu wissen.

Der Antiquitätenhändler öffnete die Tür, sie traten hindurch, und da lag es unmittelbar vor ihnen ausgebreitet: Ein mittelalterlicher Marktplatz im hellen Mittagslicht, darauf zwei Scheiterhaufen, eine ausgelassene, lärmende Menschenmenge rundherum, ein Scharfrichter und die Delinquenten, die gefesselt und mit gesenkten Köpfen in die Mitte geführt wurden.

"Kein schlechtes Stück", sagte Egbert vorsichtig.

"Nicht wahr?", antwortete der Antiquitätenhändler stolz.

"Woher stammt es?"

"Aus der Gegend von Nürnberg, Mitte des 16. Jahrhunderts."

"Der Marktplatz sieht eher ländlich aus. Es ist keine bloße Hexenverbrennung, hoffe ich?"

Egbert hatte gelesen, dass unter den erhaltenen Autodafés die Hexenverbrennungen auf dem Lande die häufigsten waren und unter Kennern nicht soviel galten wie andere Stücke. Ihm war auch eine einfache Hexenverbrennung recht, aber er wollte bei dem Antiquitätenhändler Eindruck schinden.

"Wo denken Sie hin?", empörte sich der Händler. "Solch gewöhnliche Ware würde ich Ihnen nicht anbieten. Sie haben es hier mit einem erstklassigen Fall von Ketzerei zu tun."

"Ich würde mich gern selbst davon überzeugen. Ich sehe nicht gut, wissen Sie, und wenn ich etwas dichter herankommen könnte, wäre mir das angenehm."

Egbert ruckte demonstrativ an seiner Brille. Er war zwar nicht kurzsichtig, sondern extrem weitsichtig wie man an seinen riesig vergrößerten Augen hinter den Brillengläsern erkennen konnte, aber dem Händler würde es kaum auffallen. Wichtig war es, jetzt nicht locker zu lassen, dafür war eine kleine Notlüge zu entschuldigen.

Der Antiquitätenhändler zögerte nicht, sondern drängte sich ungeniert durch die Traube der Menschen, die ihm unflätige Ausdrücke hinterherwarfen. Egbert bemühte sich, dicht hinter ihm zu bleiben. Der Geruch der Leute, die zum großen Teil in ärmlicher Bauerntracht gekleidet waren, raubte ihm den Atem.

Der Händler wechselte erst ein paar Worte mit dem Scharfrichter, dann stellte er Egbert die Delinquenten vor. Egbert erkundigte sie nach ihren Vergehen, und sie antworteten bereitwillig, wobei es ihm schwer fiel, ihrer altertümlichen Ausdrucksweise zu folgen. Neben dem Ketzer, einem großen hageren Mann mit scharfen Gesichtszügen, der bemüht war, keine Gefühle nach außen dringen zu lassen, waren auch zwei Hexen angeklagt, junge frische Geschöpfe, Zwillinge offensichtlich, denen die Angst deutlich anzumerken war. Sie waren einem Denunzianten zum Opfer gefallen, vermutete Egbert. Vielleicht war eine Nachbarin neidisch auf ihre jugendliche Schönheit, oder ein abgewiesener Liebhaber wollte sich rächen. Möglicherweise war es auch der Aberglaube, der das Außergewöhnliche, wie hier die perfekte Ähnlichkeit zweier Menschen, als unnatürlich verdammte. Der Ketzer, der den eigentlichen Wert des Autodafés ausmachte, interessierte Egbert nicht halb so viel wie die beiden Schwestern. Er hätte gern mehr Zeit mit ihnen verbracht, aber der Händler sah ihn erwartungsvoll und ungeduldig an.

»Das ist alles sehr schön und geschmackvoll«, sagte Egbert zurückhaltend.

»Dann möchten Sie es kaufen?«, fragte er.

»Eventuell. Ich habe ja noch nicht das ganze Stück gesehen. Man kennt ja verschiedene Fälle, in denen dann doch etwas dazwischen kommt – es fängt an zu regnen oder der Scharfrichter erleidet einen Herzinfarkt.«

»Ich kann mich nur wiederholen, das hier ist keine minderwertige Ware, sondern ein auserlesenes Werk.«

Egbert war sich sicher, dass das angebotene Autodafé ein Vermögen kostete. Er wusste, wie teuer die wenigen erhaltenen Stücke gehandelt wurden, und dieses war besonders wertvoll, wie der Anti­quitätenhändler ständig betonte. Egbert hatte genug Geld, das war nicht das Problem, doch er war nicht bereit, so viel auf einen Schlag auszugeben. Trotzdem wollte er sich nicht sofort wieder von dem Autodafé trennen. Die Gelegenheit war einmalig, seine Neugier war zu groß. Wie würde es sein, längere Zeit hier zu verbringen? Was würde passieren?

»Wären Sie bereit, es mir für ein paar Tage zur unverbindlichen Ansicht zu überlassen? Gegen entsprechende Sicherheiten selbstverständlich«, fragte er.

Der Händler zögerte. Egbert sah ihm an, dass er ablehnen wollte. Er musste eine andere Strategie versuchen.

»Sagen Sie«, bohrte er nach, »haben Sie eigentlich die Ladentür abgeschlossen, als wir nach hinten gegangen sind? Es könnten sonst ungebetene Gäste hereinkommen, nicht wahr?«

Die Mundwinkel des Händlers fielen schlagartig. Egbert hatte ins Schwarze getroffen.

»Sie haben recht«, antwortete der Händler hastig, »ich müsste längst zurück im Geschäft sein, die werte Kundschaft, nicht wahr? Möchten Sie noch etwas bleiben? Wir können uns später noch darüber einigen, wie wir am besten weiter verfahren. Nehmen Sie sich ruhig Zeit, und sehen Sie sich alles genau an.«

Noch während er sprach, kehrte er sich ab und grub sich seinen Weg zurück durch die Menge. Egbert hatte es geschafft. Er war allein mit dem Autodafé.

(...)
   
Entnommen aus:
Nils Ehlert  Böse Folgen
Erschienen im seidler-verlag.de 
10,80 EUR  ISBN 978-3-931382-43-8

Dienstag, 13. September 2011

Gedicht des Monats

Das Gedicht des Monats September stammt von Jancu Sinca:

Kleine Dinge

Wo ich auch hinseh, überall
sind kleine Dinge zu verrichten.
Dort wartet noch ein Brief auf Antwort,
hier liegt ein Zettel für den Einkauf:

ein Stückchen Butter, zwei Stück Käse,
ein wenig Schinken und Salami,
nicht zu vergessen: Brot und Milch;
und nicht zuletzt die Süßigkeiten.

Und was ist mit der Schreibarbeit?
Sie wartet noch auf die Vollendung.
Und obendrein der Stapel Wäsche,
der noch gewaschen werden muss:

das weiße Hemd für das Theater,
das morgen abend schon besucht wird,
Pullover, Hosen und die Strümpfe,
ich trag sie schon zum dritten Male.

Wo ich auch hinseh, überall
sind kleine Dinge zu verrichten.
Sie stehn im Kopf wie kreuz und quer.
Und auf den Dingen Staub, nicht mehr.


Entnommen aus:
Jancu Sinca  Das Kratzen auf dem Blatt
Erschienen im seidler-verlag.de 
9,50 EUR  ISBN 978-3-931382-40-7

Mittwoch, 7. September 2011

Das Feuilleton schafft sich ab


Kürzlich erschien auf Spiegel Online eine Polemik von Sibylle Berg über den Niedergang des deutschen Feuilletons. Darin beklagte sie sich darüber, dass es in den Kulturteilen unserer Zeitungen von "putzigen Pubertätsbüchern und Blockbuster-Besprechungen" nur so wimmelt und die Welt zu einem "großen Klumpen Mainstream verkommt". Eine treffende Beobachtung, wie ich finde.

Vermutlich hat jeder Nachwuchsautor (oder Künstler anderer Sparten) schon einmal die Erfahrung gemacht, von einem Feuilletonisten, Kulturredakteur oder sonstigem Hochwohlgeborenen abgewiesen zu werden - wenn man sie denn überhaupt erreicht. Eingelassen wird man nicht, auf Postsendungen und E-Mails reagieren sie nicht, und wenn man sie endlich mal am Telefon hat, reagieren sie mit Ausflüchten oder Desinteresse. Bloß nichts Neues wagen, keinem Außenseiter eine Chance geben - man braucht ja den Platz für die Bestseller und Blockbuster. Natürlich bleiben noch ein paar Fitzelchen für die kleinen Bücher und Filme, doch um diese balgt sich eine Unzahl von Künstlern, eine Platzkarte zu bekommen gleicht einem Lottogewinn.

Es stellt sich die Frage: Warum tun die das? Muss denn wirklich jeder große Hollywood-Film, der ohnehin ein gewaltiges Werbebudget besitzt, über halbe Seiten hinweg im Kulturteil besprochen werden? Muss ein Buch wie Charlotte Roches Schoßgebete, das mit einer Startauflage von 500.000 Exemplaren den Markt überschwemmt, auch noch von Kulturjournalisten beworben werden? Haben diese Herrschaften etwa Angst, dass Leser wegbleiben, wenn man den Massenmarkt nicht bedient?

Dabei könnten sich die Zeitungen doch gerade in diesem Bereich von den übrigen Massenmedien absetzen, indem sie den Fokus erweitern auf unbekannte Künstler und Randthemen, die vielleicht nicht immer die ganz großen Auflagen erzielen, dafür aber umso interessanter sind. So gewinnt man Profil.
Natürlich wissen die Herrschaften das. Trotzdem handeln sie nicht danach. Vielleicht bereiten sie sich schon auf die Übernahme durch Mister Murdoch oder Signore Berlusconi vor?