Das Licht des Sommers
Es war noch kalt in jenen Tagen, als wir uns zum ersten Mal näher kamen und gleich wieder verloren. Die offenen Blüten der Bäume wurden in den Nächten noch vom Frost bedroht, jedoch besaß die Sonne schon das Licht des Sommers, jenes aus einem wolkenlosen Himmel dringende, blendend weiße Licht, das an hitzige Badetage denken lässt. In jenem Frühjahr lebte ich in einer mittelalterlichen Atmosphäre der Intensität und Dichte, die wie durch ein Wunder weiter zunahm, wenn wir zusammen waren. Jung warst du, mit deinen dreiundzwanzig Jahren gerade einmal zwei Jahre älter als mein Sohn. Überlegte ich, welche Erfahrungen wir schon teilten, kam ich mir vor, wie ein Mensch, dessen Lebenszeit demnächst enden wird. Mich ärgerte die Jahrtausende alte Unsterblichkeit des Frühlings über der Flusslandschaft, dieses falsche Versprechen auf die alles durchdringende Hitze eines ewig währenden Sommers. Ich hob einen Stein auf, er war eiskalt, und warf ihn in die Wellen
»Bist du wütend?« fragtest du, und ich log:
»Nein.«
Ich wollte dir diesen Park zeigen, beweisen, dass
die Weite des Himmels und die Großartigkeit eines Lebens nur in einer Ebene, am
besten im Angesicht eines Flusses, zu erleben sind. Aber das alles war nicht das
Thema unseres Gesprächs, damals, als wir am Rhein spazieren gingen, und sich das
Blau des Himmels auf dem Wasser ausbreitete. Wie immer gingst du neben mir in
jener wunderbaren Keuschheit, von der ich bereits ahnte, dass sie nur Schein
war. Das sommerliche Licht des Winters erhellte dein Gesicht, verfing sich in
deinen leicht umschatteten Augen, und ich wagte nicht zu hoffen, dass wir uns
irgendwann im Bett wiederfänden.
Schon längst hatte ich mir gestanden, hoffnungslos
in dich verliebt zu sein. Sollte ich es dir gestehen? Ich betrachtete dich
schweigend und du schwiegst mit offener Neugier zurück. Der Glanz mädchenhafter
Schönheit lag auf deinem Gesicht und jede deiner Bewegungen war eine Verführung
für mich. Wie verwundbar bin ich heute noch, wenn ich an dich denke.
Du folgtest mir, als ich auf den dicken
Wackersteinen zum Wasser hinunter kletterte und unten angelangt in die Hocke
ging. Wir saßen nebeneinander und sahen hinaus auf den schnell fließenden Strom
und hinüber zum baumumsäumten, jenseitigen Ufer.
»Ich muss dir etwas sagen.«
Lieber mit Worten, als durch Taten unmöglich
werden, dachte ich. Das Bedürfnis dich zu umarmen, wurde unbeherrschbar, war nur
noch durch Worte aufzuhalten.
»Auf meine Frage gibt es allerdings keine
vernünftige Antwort.«
Seine Augen blickten ruhig.
»Bist du in mich verliebt?« fragte ich. Bei einem
NEIN würde die Welt mir unter den Füßen zerspringen, bei einem JA ebenso. Worauf
war ich eigentlich vorbereitet?
»Ich? Nein. Ich liebe meine Freundin.«
»Weißt du, man kann zwei Menschen auf einmal
lieben.«
»Ich? Nein. Ich glaube nicht, dass das überhaupt
geht.«
Das sagte er zögerlich, aber die Gier seiner
Unreife blickte mich an.
»Vielleicht ein kleiner Seitensprung?« fragte
er.
Der Wind kühlte mich aus. Die Wärme einer Liebe,
die ich mir zugefächelt hatte, verlosch. Ich betrachtete sein Gesicht von
der Seite. Feuer flackerte in seinen Jungenaugen, es war nicht zu übersehen. Es
war das Feuer des Frühlings, ein Strohfeuer, ein gieriges Verbrennen. Die
Dauerlohe des Sommers, die mit der Kraft des Holzes eine Nacht durchwacht, war
ihm noch fremd. Und für die flammenlose Glut des Herbstes war er erst recht noch
nicht reif. Aber dieses NOCH NICHT, in dem ein ES WIRD EINMAL angelegt war,
brannte in mir ohne Ende.
Wir gingen wieder hinauf auf den Weg und erzählten
von anderen Dingen. Die kahlen Bäume ragten in den blauen Himmel und flehten mit
ihren Ästen für mich, eine Frau, die, wenn sie an ihn denkt, stets dabei ist,
sich lächerlich zu fühlen.
Wie lange ist dieser Spaziergang jetzt her? Acht
Jahre? Das klingt sehr unwahrscheinlich, aber so ist es. Frühling für Frühling
denke ich an diesen Jungen, wenn ich zwischen all dem Winterlicht das Licht des
Sommers entdecke. Jenes blendend weiße Licht, das aus einem wolkenlosen Himmel
dringt, und das mitten im Winter an heiße Badetage denken lässt.
Entnommen aus dem Heft "Romantikspiegel", erschienen 2006, produziert von der LitOff anlässlich des Literatursommers Baden-Württemberg.
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