Dienstag, 8. November 2011

Gedicht des Monats

Das Gedicht des Monats November stammt von Olga Manji:


Nach dem Gewitter

Du, meine Freundin, sagst,
ich soll keine Liebesgedichte schreiben.
Ich aber male meine Schillerverse
auf Regenwolken und werfe sie ins Wasser.
Siehst du die hingestreckte Baumgestalt
im Urwaldfluss des Auenwaldes,
im Brand der Sonne nach dem Gewitter?
Die nackten Glieder emporgereckt,
verschlungen wie im Liebeskampf,
sonnt sich der glatte Stamm im Dunst,
licht und leicht, sich auf dem Wasser spiegelnd.
Hin und wieder ein Vers, abgelauscht den Wellen,
einem Strömen gleich aus grünen Augen.

Und du, meine Freundin sagst,
ich soll keine Liebesgedichte schreiben.
Ja, ja, bereift bin ich schon. Eine raurindige Eiche,
emporgehoben in den blauen Himmel der Heiterkeit.
Auch wenn er nach einer Liebesnacht wegschwimmt
wie ein Stück Holz, das du aus den Augen verlierst.
Mir bleibt der Schimmer seiner Niederungen
wichtiger als der Glanz von tausend Flussperlen.
Meine Freundin, sein Strudeln und Wirbeln
in meinem schillernden Gedächtnis
ist mein einziger Trost.
Zwei heiße Tropfen auf dem Blatt einer Brennessel,
Verse, hin und wieder, wie ein fernes Donnergrollen.



Entnommen aus der Heftanthologie "Romantikspiegel" der LitOff, erschienen 2006 anlässlich des Literatursommers Baden-Württemberg. 
Weitere Informationen über Olga Manj finden Sie auf ihrer Autorenseite.


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