Wolfgang Gast ist kein Mitglied der Heidelberger LitOff - trotzdem schreibt er gute Bücher. Oft sind es verstörende Geschichten, in denen Fantasiewelt und Realität verschwimmen. Die Protagonisten sind Grenzgänger zwischen den Wahrscheinlichkeiten ihrer Existenz, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es wird viel gereist und gelegentlich angekommen.
Hier ein kleiner Auszug aus seinem Werk:
Die Befragung
Ein Raum ohne
Fenster. Das Licht fällt durch eine milchig vergilbte Glaskuppel, es
erreicht keine Wand, erschafft selbst einen unbestimmten, verschwommen
abgerundeten Ort. An der hellsten Stelle, man könnte sie Mitte nennen,
liegt halb aufgerichtet oder sitzt zurückgelehnt, in einem Möbel von
nicht durchschaubarer Funktion, ein Mann. Bekleidet ist er mit dem, was
übrig blieb von einem hellblauen Sommeranzug, weißen Hemd und bunter
Seidenkrawatte, nachdem ein Regenguss, eine Sturmböe, der Sturz in eine
schlammige Pfütze und zuletzt die noch nicht aufgeklärten Wirkungen
eines Blitzeinschlags in nächster Nähe, wenngleich in das Faradaysche
Gerüst eines Laubengangs, elementare Zugriffe also – nachdem dies alles
in kurzer Abfolge das Opfer getroffen hatte.
Das Sprechen fällt dem Mann zunächst schwer. Doch er wird sich im Feld der Tatsachen und Wörter bald wieder zurechtfinden.
Mein Name? – Ja, ich
verstehe, was Sie meinen. Ich suche das Wort. Helfen Sie mir. – Ich
glaube, es ist der richtige Name. Woher kennen Sie mich? – Mein Ausweis.
Sie haben ihn gefunden. Das ist gut. In der Brieftasche war auch Geld.
Alles vorhanden. Auch die Konzertkarte? – Das Konzert ist zu Ende. – Das
Letzte, woran ich mich erinnere? Im Park. Es war dort rasend schnell
dunkel geworden. Die schwarzen Wolken. Und der Regen, eine Sturzflut. In
die Dunkelheit fuhr ein Licht, ein wahrhaftiges Schlaglicht, neben oder
hinter mir. Kann ein Licht einen Menschen packen und zu Boden werfen?
Frage ich mich jetzt. Das Licht, der Lichtschlag, könnte sehr kurz
gedauert haben, wie ein Blitz, und ich habe nur seinen Nachschein noch
länger gesehen, ich weiß nicht. Den Nachschein im Auge. Ich erinnere
mich nicht, wie das Licht vielleicht erlosch und die Dunkelheit wieder
da war. Dunkler als zuvor aber war sie. Das tiefste Schwarz. Ich
erinnere mich an – nichts. Es könnte ein Eindruck von Nichts gewesen
sein. Erfahrung von Nichts. – Ich lag bewusstlos in einer Pfütze, sagen
Sie? Davon habe ich nichts gespürt. – Ja, bitte, eine kurze Pause.
Wenn ich vom letzten
Augenblick an rückwärts denke? Da ist die Unbekannte. Die Frau im roten
Kleid. Ich bin ihr hinterher gelaufen. Warum gelang mir nicht, ihr näher
zu kommen! Sie hatte den kleinen Tempel erreicht, als das Unwetter
losbrach. Sie verschwand zwischen den Säulen. Plötzlich waren da Säulen,
ich hatte sie früher nie gesehen. Vielleicht bin ich stehen geblieben.
Überrascht. Oder vielmehr hilflos. Dann wollte ich zum Tempel flüchten.
Er heißt Tempel der Minerva, fällt mir ein. Nur ein Tempelchen,
eigentlich. Fünfzig Meter noch, denke ich. Gegen den Regen und Sturm kam
ich mühsam vorwärts. Bis zum Tempel kam ich wahrscheinlich nicht. Die
Pfütze? Sie haben recht, ich war, wie man so sagt, auf der Strecke
geblieben.
Vom Beginn an erzählt
– das ist mir lieber. Ich bin sicher, dass meine Erinnerung bis zur
Konzertpause sehr klar und richtig ist. Was geschah, war sehr einprägsam
und ich habe alles begierig festgehalten. Obwohl – mein Abenteuer
besteht darin, dass fast nichts geschah. Außer dem Konzert. Das Übrige:
eine Folge von Versäumnissen. Ein einziges Versagen. Ich habe versagt.
Oder mir wurde etwas versagt. Es läuft auf Eines hinaus.
*1940 in Nürnberg, Jurist & Philosoph, lebt als
Schriftsteller in Heidelberg. Als Wissenschaftler veröffentlichte er Monografien
und Lehrbücher; Hauptwerk: Juristische Rhetorik, 5. Aufl. 2015. Parallel dazu
Essays, Aphorismen, Sachbücher und Belletristisches.
Mehr unter www.Seidler Verlag.
Die Lesung findet statt im Rahmen der Kleinen Buchmesse im Neckartal.
Wolfgang Gast
Mehr unter www.Seidler Verlag.
Lesung: Andere Horizonte - Geschichten von
Anfang und Ende
Sonntag, 8. März 2015, 14.00 Uhr, Neckarsteinach, Geopark-Haus (gegenüber dem "Schwanen"), 2. Obergeschoss.
Sonntag, 8. März 2015, 14.00 Uhr, Neckarsteinach, Geopark-Haus (gegenüber dem "Schwanen"), 2. Obergeschoss.
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